Silke Schlichtmann: Reißaus mit Krabbenbrötchen

  Ein Riesenschlamassel oder Was ist noch normal?

Wenn alles anders läuft als geplant, dann hat man genau zwei Möglichkeiten:
1. Den Kopf in den Sand stecken.
2. Sich was Neues ausdenken. (S. 99)

Wer die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Kinderbuchautorin Silke Schlichtmann kennt, weiß, für welche der beiden Varianten sich die zehnjährige Protagonistin Jonte in ihrem neuen Kinderroman Reißaus mit Krabbenbrötchen entscheidet: natürlich für die Kreativität! Denn die ist gefragt, als Opa Peter immer tüdeliger und rätselhafter wird. Für Jontes Mutter Gitte ist klar: Opa muss schnellstmöglich ins Heim. Aber ist man wirklich schon dement, wenn man 23 Gläser Senf im Vorratsregal hat, nackt durch den Garten läuft und das Handy im Kühlschrank aufbewahrt? Oder gibt es dafür vielleicht sogar logische Erklärungen? Jonte jedenfalls ist fest entschlossen, den Plan ihrer besorgten Mutter zu durchkreuzen. Helfen wollen ihr bester Freund Schippo, ein nachdenklicher Junge, der nichts so fürchtet wie Langeweile, und ihre älteren Geschwister, der sechzehnjährige, schwer pubertäre Tausendfüßlerzüchter Henrik und die verliebte Ditte mit dem „Wenn-man-vom Teufel-spricht-Talent“. Gemeinsam wird ein Diagnose- und Rettungsplan ausgeklügelt, damit Opa in seinem Häuschen mit Tischlerwerkstatt in Grünendeich im Alten Land bleiben kann.

Dass es schließlich so richtig turbulent wird und sogar Schippo sich keine Sekunde mehr langweilt, liegt auch daran, dass Jonte, wie sie selbstkritisch bemerkt, gerne spontanen Einfällen folgt:

Aber wenn man alles zu Ende denkt, hat man irgendwann keine Zeit mehr, um überhaupt anzufangen. (S. 191)

Zum Glück kommt Rettung in letzter Minute, denn wenn nicht jede und jeder nur eine Seite des Problems sieht, findet sich für alles eine Lösung…

Zutaten für Krabbenbrötchen à la Krabbenbrötchenverkäuferin Johanna aus Husum. Das geheime Rezept gibt’s hinten im Buch.  © B. Busch

Mit Jonte, ihrer Familie, Schippo und dem Hund Plato hat Silke Schlichtmann erneut eine Umgebung geschaffen, mit der sich zehnjährige Leserinnen und Leser bestens identifizieren können. Jede Figur ist mit viel Herz und Respekt gezeichnet und die Handlung ist ebenso lebendig wie spannend und oft so komisch, dass ich auch als Erwachsene wieder einen Heidenspaß hatte, besonders an den mit Wortwitz und Situationskomik gespickten Dialogen. Es ist herrlich, den manchmal schrägen, für sie durchaus logischen Gedankengängen der Ich-Erzählerin Jonte zu folgen und keine Sekunde zweifelt man daran, dass hier tatsächlich eine pfiffige Zehnjährige erzählt. Wie immer greift Silke Schlichtmann ein Problemthema aus der Erfahrungswelt der Kinder auf, nimmt ihre Nöte ernst und zeigt, dass man Lösungen am besten im Team findet.

Jens Rassmus, dessen witziges Bilderbuch Juhu, LetzteR! ich sehr liebe, hat Reißaus mit Krabbenbrötchen passend zur Textfarbe in Blau illustriert, punktgenau in den Details und Stimmungen.

Reißaus mit Krabbenbrötchen eignet sich für gute Leserinnen und Leser ab der dritten Klasse, zum Vorlesen auch früher. Besonders empfehlenswert sind Lesungen von Silke Schlichtmann selbst bei einer ihrer fantasievollen Veranstaltungen, für die sie 2019 auf der Leipziger Buchmesse als LesekünstlerIn des Jahres ausgezeichnet wurde.

Jontes Versprechen, uns bei nächster Gelegenheit mehr über Schippos Namen zu erzählen, nehme ich als Zusage für mindestens einen weiteren Band. Eine ausgezeichnete Idee, liebe Frau Schlichtmann!

Ein witziges Video zum Buch gibt es hier.

Silke Schlichtmann: Reißaus mit Krabbenbrötchen. Mit Zeichnungen von Jens Rassmus. Hanser 2022
www.hanser-literaturverlage.de/verlage/hanser-kinderbuch

 

Weitere Rezensionen zu Kinderbüchern von Silke Schlichtmann auf diesem Blog:

         

 

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert